Der Begriff "Weltmusik" ist längst zu einem Schlagwort geworden, das misstrauisch macht, weil es nicht selten für Klänge steht, die auf dem kleinsten musikalischen Nenner den schnellen exotischen Effekt suchen. Für diesen Sampler - die aktuelle Fortsetzung einer Reihe, die 1996 mit der zum ACT-Klassiker gewordenen CD "A Little Magic In A Noisy World" begonnen hat - trifft denn auch viel eher die Formel "weltumspannende Musik" zu. Denn mit 18 Stücken wird hier eine unglaubliche Vielfalt ausgebreitet: Nach Afrika, Asien, Lateinamerika, in so unterschiedliche europäische Regionen und Länder wie Sardinien, Schweden und Norwegen führen die Routen, die Jazzmusiker und Folk-Virtuosen verschiedenster Herkunft hier einschlagen. Und auf einen "Nenner" wird hier nichts gebracht: Jede Musik lebt ihre Eigenwilligkeit aus.
"Global Magic": Der Zauber der Koexistenz. Gitarrist Nguyên Lê, der Musiker, der auf dieser CD am häufigsten auf-taucht, in Paris großgewordener Sohn vietnamesischer Eltern, hat am besten ausgedrückt, worum es in all diesen Aufnah-men geht: "ein Geflecht von Begegnungen entstehen zu lassen, bei denen jeder, auf dem Hintergrund seiner eigenen Kultur, das Beste von sich geben kann". Trompeter Paolo Fresu und die in vietnamesischer Tradition fußende Sängerin Huong Thanh mussten beim Zusammenspiel mit dem Gitarristen, der hochbrisanten Jazz und fernöstlich-fragile Klangkul-tur auf seinem Instrument vereint, ihre Stil-Welten nicht schrumpfen lassen (Track 2). Wo immer Lê beteiligt ist, wahren auch die anderen Musiker radikal ihre Identität - vom türkischen Schilfrohrflöten-Virtuosen Kudsi Erguner mit seinem tief in die Tradition des Sufismus eintauchenden Projekt "Islam Blues" (Track 9) bis zu den Partnern im wunderbar sensiblen Trio E-L-B (Erskine-Lê-Benita) mit dem Schlagzeug-Großmeister des Leisen Peter Erskine und dem elastischen Bass-Ruhepol Michel Benita (Track 11).
Koexistenz bedeutet: Jeder bleibt er selbst und ist doch offen für die Eigenheiten der anderen. Multi-individuell statt multikulturell. Das löst die Musik dieser CD auf verschiedenen Ebenen ein. Der algerische Schlagzeuger Karim Ziad - ein weiterer Aufsteiger der internationalen Szene mit Wahlheimat Paris - hat bei der Erforschung nordafrikanischer Wurzeln ganz selbstverständlich den bosnischen Pianisten Bojan Zulfikarpasic neben sich (Track 7), der Jazz-Star Paolo Fresu hul-digt Sardinien im Gespann mit großen Folk-Musikern der Insel (Track 10). Und der amerikanische Saxophonist David Binney lässt in seinen kunstvoll durchstiliserten Kompositionen Solisten wie Chris Potter und Uri Caine bei allem Blick auf Form und Struktur lustvoll brillieren: Auch hier ebnen sich die Partner nicht gegenseitig ein, sondern heben einander auf eine höhere Ebene (Track 15).
"Global Magic" - ein Zauber, der nur durch Individualität wirkt. Bei der Gruppe Triocolor um den gefeierten deutschen Pianisten Jens Thomas führten deshalb Reisen nach Westafrika nicht zu einem mit vermeintlichem Afro-Kolorit geschmück-tem Pseudo-Ethno-Gemisch: Stattdessen verarbeitete das Trio die Reise-Impressionen konsequent im eigenen Idiom (Track 3). Und auch Pianist Richie Beirach, Geiger Gregor Huebner und Bassist George Mraz bleiben fern aller Tourismus-Klischees, wenn sie ihren Improvisationen osteuropäische Themen zu Grunde legen (Track 6).
Alle nur denkbaren Gestalten kann der "Jazz" - sofern das Wort je genügt hat - des beginnenden 21. Jahrhunderts an-nehmen. Auch das zeigt dieser Sampler. Welten liegen nur scheinbar zwischen dem kompakt-energiegeladenen Spiel des schwedischen Esbjörn-Svensson-Trios (Track 1) und der flirrenden Ironie der Berliner Anarcho-Crew Der Rote Bereich (Track 13). Die Flamenco-Gitarre von Gerardo Nunez (Track 4) hat im Spektrum des heutigen Jazz genauso ihren Platz wie ein Lied des amerikanischen Songwriters und Filmmusik-Genies Randy Newman (Track 16), gesungen von der Nor-wegerin Sidsel Endresen. Nichts - so die Überzeugung von ACT-Labelchef Siegfried Loch - wirkt wie ein Fremdkörper, wenn zwei wesentliche Kriterien erfüllt sind. Das eine: hohe musikalische Qualität. Das andere: Die Musiker müssen die größtmögliche Freiheit haben und sie sich auch untereinander gewähren. In den 71 Minuten dieser CD funktioniert das bestens - und dieses Prinzip ginge wohl auch als Modell für "Global Magic" außerhalb der Welt der Töne durch.